- Kopfschmerzen – Teil 1: mit dem Kopf gegen die Wand
- Kopfschmerzen – Teil 2: sich den Kopf zerbrechen
Wir tauchen tiefer in die differentialdiagnostische Einordnung von diversen Kopfschmerzarten ein.
Je nach Manifestation kann man Kopfschmerzen grob wie folgt kategorisieren:
- Vernichtungskopfschmerzen
- plötzlicher Halbseitenkopfschmerz
- periorbitale Kopfschmerzen
- holozephale Kopfschmerzen

Vernichtungskopfschmerz
Bei akuten stärksten Kopfschmerzen sollte man bis zum Beweis des Gegenteils von einer subarachnoidalen Blutung (SAB) ausgehen!
Subarachnoidale Blutung (SAB)
Typischer „Donnerschlagkopfschmerz“, oft von Meningismus oder Übelkeit/Erbrechen begleitet. Teilweise rasche Progredienz mit Bewusstseinsstörung, Hirnnervenparesen und anderen neurologischen Ausfällen (z. B. Hemiparese). Auch ein unmittelbares Koma ohne Prodromalsymptome ist möglich. Es kann eine Atem- und Kreislaufdysregulation bis hin zum Kreislaufstillstand auftreten. Eine sogenannte Warnblutung (warning bleed) kann in den vergangenen Tagen/Wochen vorkommen; explizit erfragen!
Reversibles zerebrales Vasokonstriktionssyndrom (RCVS)
Attackenartige starke Kopfschmerzen unterschiedlicher Lokalisation mit holozephaler Ausbreitung, möglicherweise getriggert durch vasoaktive Substanzen, Drogen (Cannabis, Kokain, Amphetamine, Ecstasy), SSRIs, peripartal, Geschlechtsverkehr, Valsalva-Manöver oder starke Emotionen. Begleitet von vegetativer Symptomatik und/oder sensorischer Überempfindlichkeit. Fokal-neurologische Defizite können durch einen Hirninfarkt oder eine Blutung entstehen.
Posteriores reversibles Enzephalopathie-Syndrom (PRES)
Kopfschmerzen und Hypertension, Bewusstseinsstörung, Sehstörung und ggf. (fokale) epileptische Anfälle. Typische Risikofaktoren: immunsuppressive Therapie, Niereninsuffizienz, Eklampsie.
Zerebrale Venen- und Sinusthrombose (SVT)
Sie kommt häufiger in Schwangerschaft/Puerperium, bei Einnahme von Kontrazeptiva oder Hyperkoagulopathie vor. Die Symptome können tückisch sein, von variabler Intensität, Dynamik und Dauer, mit wechselhaftem Verlauf. Ein akuter Beginn ist allerdings durchaus möglich.
Differentialdiagnosen von Donnerschlagkopfschmerz |
Subarachnoidale Blutung (SAB) |
Reversibles zerebrales Vasokonstriktionssyndrom (RCVS) |
Zerebrale Venen- und Sinusthrombose |
Zervikale arterielle Dissektion |
Koitaler Kopfschmerz |
Intrazerebrale Blutung |
Spontane intrakranielle Hypotension |
Kolloidzyste des 3. Ventrikels |
Hypophysenapoplexie |
Idiopathischer Donnerschlagkopfschmerz/epicrania fugax |
Plötzlicher Halbseitenschmerz
Relevante abzugrenzende sekundäre Ursachen in dieser Kategorie sind ein Hirninfarkt im hinteren Stromgebiet, eine Blutung in der hinteren Schädelgrube oder eine Dissektion der A. carotis interna oder der A. vertebralis. Meistens stehen hier allerdings die neurologischen Defizite im Vordergrund.
Eine Karotis- oder Vertebralisdissektion kann auch nach minimalem Trauma auftreten.
Karotis-Dissektion
Halsschmerzen mit Ausstrahlung in den Kopf, ipsilaterales Horner-Syndrom, pulsatiler Tinnitus, fokale Defizite im vorderen Stromgebiet, ipsilaterale Amaurosis.
Horner-Syndrom: Trias aus 1. Miosis, 2. Ptosis, 3. Enophthalmus
Vertebralis-Dissektion
Einseitiger persistierender Nackenschmerz, neurologische Defizite im vertebrobasilären Stromgebiet wie Ataxie, Gangstörung, Dysarthrie, Okulomotorikstörung, Bewusstseinsstörung.
Trigeminusneuralgie
Streng genommen kein Kopf-, sondern ein Gesichtsschmerz. Einschießende, elektrisierende/brennende Schmerzen, meistens im V2 oder V3 Versorgungsgebiet (V1 ist eine Rarität). Dauer von wenigen Sekunden bis Minuten, fast vollständig rückläufig hiernach, treten mehrfach (bis hundert) am Tag auf. Provokationsfaktoren: Stimulation wie Kauen, Sprechen oder Berührung. Keine autonome Begleitsymptome (DD trigeminoautonome Kopfschmerzen).
Riesenzellarteriitis
Falls die Halbseitenkopfschmerzen subakut auftreten -> an eine Riesenzellarteriitis denken! Hier sind die Schmerzen frontotemporal, bohrend-stechend, mit Verschlechterung bei Kieferöffnung/Kauen. Kommt fast ausschließlich bei älteren Patient*innen vor (>50 Jahre). Häufig von einer Sehstörung bis hin zum Visusverlust sowie von systemischen Symptomen begleitet. Oft zusätzlich Muskelschmerzen der proximalen Muskulatur (Überlappung mit Polymyalgia rheumatica). Klinisch druckschmerzhafte und verhärtete A. temporalis, in der Sonographie Halo-Zeichen.
Eine Riesenzellarteriitis muss zeitnah mit Kortikosteroiden behandelt werden; es droht eine bleibende Visusminderung!
Periorbitale Schmerzen
Relevante Krankheiten in dieser Kategorie sind diverse primäre trigemino-autonome Kopfschmerzen (TAK), Pathologien des Auges (z.B. Herpes-Keratitis), der Orbita (Opticus-Neuritis, Retrobulbärhämatom) oder des Sinus cavernosus. In aller Regel sind auch hier die Symptome einseitig. Bei den trigemino-autonomen Kopfschmerzen ist die Einseitigkeit sogar eines der Diagnosekriterien.
Trigeminoautonome Kopfschmerzen
Starke, stechend, bohrend oder brennende, einseitige (meist periorbitale) Schmerzen. Treten mehrfach am Tag auf und werden von autonomen Symptomen und psychomotorischer Unruhe begleitet. Zentrales diagnostisches Kriterium bei den TAK ist die Zeitdauer der Schmerzen. Der häufigster TAK ist der Cluster-Kopfschmerz, weitere Formen stellen die paroxysmale Hemikranie, Hemicrania continua und SUNCT/SUNA (Short-lasting, Unilateral, Neuralgiform headache attacks with Conjunctival injection and Tearing bzw. Autonomic symptoms) dar.
Trigeminoautonome Kopfschmerzen – Häufigkeit und Dauer der Attacken | |||
Hemicrania continua | Cluster Kopfschmerz | Paroxysmale Hemikranie | SUNCT/SUNA |
kontinuierlicher (mglw. undulierender) Schmerz | 15-180 Minuten | 2-30 Minuten | 5-600 Sekunden |
0,5-8/Tag | 5-15/Tag | mehrfach am Tag |
Glaukomanfall
Heftigster orbitaler Schmerz mit autonomer Beteiligung, Visusstörung, Mydriasis, verzögerte oder aufgehobene ipsilaterale Lichtreaktion und steinhartem Bulbus. Oft begleitende, irreführende Übelkeit. Es handelt sich um einen ophthalmologischen Notfall, es droht eine bleibende Visusminderung!
Gelegentlich wird ein Glaukomanfall als eine Migräne-Attacke fehldiagnostiziert.
Parese des N. oculomotorius
Gleiche Symptomatik wie bei Glaukomanfall, aber ohne harten Bulbus (z. B. aufgrund eines wachsenden intrakraniellen Aneurysmas).
Holozephale Kopfschmerzen
Hier geht es um ein differentialdiagnostisch breites Spektrum. Holozephale Kopfschmerzen haben trotzdem häufig eine Betonung, zum Beispiel mehr frontal oder mehr über den Seiten des Kopfes.
- Primäre Kopfschmerzen
- Migräne (episodisch/chronisch)
- Spannungskopfschmerz (episodisch/chronisch)
- Kopfschmerz bei Übergebrauch von Akutmedikation
Migräne
Meist einseitig (häufig Seitenwechsel zwischen Attacken!), allerdings in ca. ⅓ der Fälle bilateral, Dauer 4–72 Stunden. Oft Prodromi, außerdem in ⅓ der Fälle eine Aura für 5–60 Minuten vor den Schmerzen (meistens visuell, aber auch Sensibilitäts- oder Sprachstörung, seltener Paresen). Vegetative Begleitsymptomatik und sensorische Überempfindlichkeit. Besserung mit Ruhe, Schonung, Dunkelheit. Es existieren Sonderformen (z. B. vestibuläre Migräne). Die Migräne kann sich chronifizieren. Typisch für die Migräne-Aura ist der schleichende Beginn, die wandernde Ausbreitung und anschließend die ebenfalls sequentielle Rückbildung der einzelnen Symptome.
Spannungskopfschmerz
Beidseitig, dumpf-drückend, bitemporal oder wie ein Band um den Kopf, keine vegetative oder autonome Begleitsymptomatik. Dauer 30 Minuten bis einige Tage. Tägliche Aktivitäten sind möglich.
Kopfschmerz bei Übergebrauch von Akutmedikation
Charakteristika der Schmerzen ähnlich zu den initialen primären Kopfschmerzen, diagnostische Fallstricke! Nutzung von Kopfschmerzmitteln mehr als 15 Tage im Monat über mind. 3 Monate (Triptane mehr als 10 Tage im Monat) ist ein klarer Risikofaktor.
- Sekundäre Kopfschmerzen
Meningitis
Diffuse Kopfschmerzen, Fieber, Meningismus und andere Zeichen meningealer Reizung (Brudzinski, Kernig), Übelkeit/Erbrechen. Oft fulminanter Verlauf. Lieber einmal zu viel als zu wenig daran denken!
Enzephalitis
Diffuse Kopfschmerzen, Fieber, Wesensveränderung, fokale Defizite, epileptische Anfälle, Bewusstseinsstörung.
Liquorunterdruck-Syndrom
Nach Lumbalpunktion oder Spinalanästhesie, aber auch Überdrainage durch einen Shunt. Häufiger bei jungen, schlanken Frauen. Besserung im Liegen. Gelegentlich vegetative Begleitsymptomatik. In ausgeprägten Fällen durch Unterdruck Entstehung von Subduralhygromen oder Hämatomen.
Idiopathische intrakranielle Hypertension
Tägliche Kopfschmerzen, Sehstörung (aktiv testen, werden häufig nicht von den Patienten bemerkt), Tinnitus, beidseitige Stauungspapille.
Diverse Enzephalopathien
Formen: renal, hepatisch, septisch, Wernicke, hypertensiv (selten, erst ab diastolischen Blutdruck >130 mm Hg).
Hirntumor
Schmerzen drückend/pulsierend, intermittierend, leicht bis mittelstark, häufig begleitet von Übelkeit/Erbrechen, manchmal Verstärkung morgens oder durch Valsalva-Manöver. Oft Wesensveränderung und epileptische Anfälle.
Kopfschmerzen als einziges Hirntumor-Symptom sind EXTREM selten – Patient*innen beruhigen.
Eine notfallmäßige Bildgebung bei Kopfschmerzen ohne weitere Symptome allein zum Ausschluss eines Hirntumors ist nicht indiziert!
Posttraumatisch
Häufig in den ersten Tagen nach Trauma, drückend, Linderung in flacher Lagerung, oft begleitend Schwindel.
Postherpetische (Post-Zoster-) Neuralgie
Hyperästhesie und brennende Schmerzen am betroffenen Dermatom bei Z. n. Herpes zoster am Gesicht. Oft extrem quälend und therapeutisch hartnäckig.
Zerebrale Sinus- und Venenthrombose
s. oben
Holozephale Kopfschmerzen können im Rahmen diverser nicht-neurologischer Erkrankungen auftreten. Diese sind, wie beim parainfektiösen Kopfschmerz, sogar ziemlich häufig. Beispiele umfassend die kraniomandibuläre Dysfunktion, (virale) Infektionen, Sinusitis, Nierenersatzverfahren, Kohlenmonoxidvergiftung, Intoxikationen (z. B. Glutamat, Cannabis, Kokain), Koffeinentzug, Hypoglykämie, Hypoxie, Hypothyreose, Schlafapnoesyndrom, Medikamentennebenwirkung (Nitrate, Phosphodiesterase-Hemmer, Hormonpräparate).
Fazit
Durch die Eruierung des zeitlichen Verlaufs, genauer Lokalisation sowie der Begleitsymptome gelingt meistens die diagnostische Einordnung der diversen Kopfschmerzarten.
Ausgewählte Literatur
- S1-Leitlinie Cluster Kopfschmerz und trigeminoautonome Kopfschmerzen, AWMF-Registernummer: 030/036
- S1-Leitlinie Diagnostik und Therapie des Kopfschmerzes vom Spannungstyp, AWMF Registernummer 030 – 077
- S1-Leitlinie Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne, AWMF Registernummer 030 – 057
- S1-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Trigeminusneuralgie, AWMF Registernummer 030 – 016
- Holle J. Akuter Kopfschmerz. Neurologie up2date, Thieme 2023; 6: 107–111
- Förderreuther et al. Kopfschmerzen in der Notaufnahme. Neurologie up2date, Thieme 2020; 3: 12–20
- Diener et al. Neues bei Kopfschmerzen. Neurologie up2date 2023; 6: 345–365
- Nägel S. et al. Trigeminoautonome Kopfschmerzen. Neurologie up2date 2021; 04: 255–268
- Mattle H. et al. Kurzlehrbuch Neurologie. 5. A. Stuttgart: Thieme 2021
- Hufschmidt A. et al. Neurologie compact. 9. A. Stuttgart: Thieme 2022
- Topka H. et al. Neurologische Notfälle. 2. A. Stuttgart: Thieme 2023
- Diener H. et al. Therapie und Verlauf neurologischer Erkrankungen. 8. A. Stuttgart: Kohlhammer; 2023
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