Eine akute Gedächtnisstörung, zum Beispiel im Rahmen einer TGA, ist kein häufiges Einsatzbild bzw. Leitsymptom. Umso wichtiger ist es, diese adäquat zu erkennen, disponieren, und differentialdiagnostisch abklären.
Auch für einen einigermaßen geübten Neurologen ist eine TGA nicht immer sofort als eine solche zu erkennen, wie der Autor vor Kurzem noch erleben durfte.
Fallbeispiel
Über den Hausarzt via Rettungsdienst wurde am Abend in eine gut gefüllte Notaufnahme ein 54-jähriger Mann zugeführt, der sich aufgrund eines Unwohlseins in der Hausarztpraxis vorgestellt hatte. Der Patient hatte sich zuvor im Auto eingenässt. Er kann nicht erinnern, wie er zur Hausarztpraxis gekommen war, aber er weiß, dass er bei einem geschäftlichen Termin war. In der Anamnese war zunächst klar erkennbar, dass der Patient Informationen zur Person oder relevante Fragen zur persönlichen Geschichte (Namen der Kinder, Geburtsdaten der Frau und Kinder, aber auch seinen eigenen Beruf) korrekt erzählen kann. Die Angaben wurden über die zwischenzeitlich eingetroffene Frau bestätigt. Der typische Aspekt einer TGA, nämlich das Stellen wiederholter Fragen und die fehlende neue Bildung von Gedächtnisinhalten, war zunächst nicht klar zu erkennen. Der Patient lag ruhig auf der Liege und antwortete nur, wenn er gefragt wurde. Zudem konnte er sich bruchstückhaft erinnern, beim Hausarzt gewesen zu sein.
Die neurologischen Untersuchung war komplett unauffällig. An Risikofaktoren bestand eine ausgeprägte Adipositas.
Aufgrund der nicht-typischen Präsentation erfolgte die notfallmäßige Bildgebung zum Ausschluss akuter zerebrovaskulärer Prozesse mit nativ-CCT, Perfusions-CT und CT-Angiographie, wo keine pathologischen Befunde festgestellt wurden. Auch laborchemisch zeigten sich bis auf eine Hypercholesterinämie keine Auffälligkeiten.
Nach Abschluss der Bildgebung und bis zum Erhalt der Laborergebnisse wurde der Patient in der Notaufnahme belassen. Erst die Familie berichtete dann darüber, dass der Patient ihnen in der Wartezeit alle paar Minuten dieselben Fragen stellte, nämlich, wo er sei und was passiert sei. Dies war so in der fokussierten ärztlichen Anamnese überhaupt nicht auffällig gewesen.
Der Patient wurde nichtsdestotrotz aufgrund der Enuresis und der bruchstückhaft erhaltenen Erinnerung an den Besuch der Hausarztpraxis stationär aufgenommen. Am Folgetag war die Gedächtnisstörung vollständig rückläufig. Es blieb allerdings eine mnestische Lücke für die Zeit zwischen dem Besuch der Hausarztpraxis und dem Morgen. Sowohl ein MRT als auch ein EEG erbrachten keine relevanten Befunde. Der Patient wurde mit der Diagnose einer TGA entlassen.
Mit einer Inzidenz von 3-8/100.000/Jahr wird die TGA sicherlich einem Notfallmediziner mehrfach begegnen. Auch die Differentialdiagnosen sind somit wichtig zu wissen.
Akute Gedächtnisstörung
Akute Gedächtnisstörungen (akute Amnesien) sind gekennzeichnet durch plötzlichen Verlust von Erinnerungsvermögen oder Unfähigkeit, neue Informationen abzuspeichern. Die schnelle Erkennung und Differenzierung der zugrunde liegenden Ursache ist essenziell, um potenziell lebensbedrohliche oder langfristig behindernde Zustände zu erkennen und zu behandeln.
Die Ursachen lassen sich in folgende Hauptgruppen einteilen:
Krankheiten mit mnestischem Defizit als zentralem Symptom | Neurologische Erkrankungen | Metabolische Ursachen | Psychiatrische Ursachen |
---|---|---|---|
Transiente globale Amnesie | Schlaganfall (hinteres Stromgebiet, v. a. Hippokampus) | Hypoglykämie | Dissoziative Zustände |
Wernicke-Enzephalopthie | Epileptische Anfälle, v. a. transiente epileptische Amnesie (TEA) | Hypoxie | Akute Belastungsreaktion |
Delir | Enzephalitis | Intoxikationen (Opioide, Benzodiazepine, CO) | Depression |
Simulierte Gedächtnisstörungen | Hirntumoren oder andere raumfordernde Prozesse | Elektrolytstörungen (z. B. Hyponatriämie) | |
Traumatische Hirnverletzungen (V. a. Commotio) | Hepatische oder urämische Enzephalopathie |
Pocketcard TGA
Definition Die transiente globale Amnesie (TGA) ist ein gutartiger, selbstlimitierender Zustand, der durch einen plötzlichen und vorübergehenden Verlust vor allem, aber nicht nur, des Neugedächtnisses charakterisiert ist. Patient*innen können keine neuen Informationen abspeichern, während das Langzeitgedächtnis (vor allem für weit zurückliegende und wichtige Ereignisse) und andere kognitive Funktionen erhalten bleiben.
Auslöser Häufig wird die TGA durch körperliche oder emotionale Belastungen provoziert. Zum Beispiel schweres Heben, Sport, Stress, Angst, Trauer, kaltes oder heißes Wasser (bei Schwimmen), sexuelle Aktivität oder Migräne.
Pathophysiologie Die genaue Ursache der TGA ist unklar. Ein vermuteter Mechanismus ist durch eine venöse Abflussstörung, wo Reflux oder Überdruck in den jugularen Venen zu temporärer Dysfunktion des Hippocampus führt. Ein anderer Mechanismus wurde als migräneassoziiert beschrieben, hier kommt es zu „cortical spreading depression“, ähnlich einer Migräne, jedoch nicht als Aura oder Migräne-Äquivalent.
Klinisches Bild Amnesie, die akut einsetzt, vor allem anterograd (also für neue Inhalte) aber auch kürzlich zurückliegende Ereignisse umfasst (retrograd). Typischerweise innerhalb von Sekunden bis Minuten Wiederholen immer derselben Fragen („muss ich nicht zur Arbeit?“, „was ist denn passiert?“). Häufig tritt eine innere Unruhe mit auf, die Symptomatik ist in den meisten Fällen innerhalb von 6-8h rückläufig, per Definition innerhalb von 24h. Im Anschluss ist weiterhin eine Amnesie für die gesamte Episode nachzuweisen. Möglich sind vegetative Begleitsymptome wie Schwindel, Schwitzen, Übelkeit, Kopfschmerzen, Benommenheitsgefühl, Tachykardie (Sinustachykardie), Blässe, Diarrhoe oder Polyurie.
Prognose Die Prognose der TGA ist gut. Es sind keine bleibenden Defizite zu erwarten. Eine zweite Episode ereilt lediglich 10-18% der Patienten. Wichtig ist vor allem die Aufklärung und Beruhigung der Patienten und Angehörigen.
Vorgehen bei akuter Gedächtnisstörung
Basis Anamnese und Untersuchung
- Bestätigen der Amnesie durch Verstecken von Gegenständen und Nachfragen nach 1-2 Minuten
- Ausschluss von Sprachstörungen (Gegenstände benennen lassen, Anweisungen ausführen) und Sprechstörungen (meist im Gespräch schon erkennbar, sonst Nachsprechen „Liebe Lilli Lehmann“)
- Prüfung der Orientierung zur Person und zu wichtigen persönlichen episodischen Merkmalen (Hochzeitsdatum, Geburtsdatum des Pat. und von Angehörigen), mit Hilfe von Zugehörigen
- Erfassung und gezieltes Abfragen von Red Flags (s. Kasten)
- Umfassende neurologische und allgemeine Untersuchung
Diagnostische Kriterien einer TGA
- Plötzlich einsetzende, hochgradige Gedächtnisstörung, vor allem des Neugedächtnis
- Keine fokal-neurologischen Ausfälle (z. B. Paresen, Aphasie) und keine kognitiven Defizite
- Fehlen einer Störung des Bewusstseins und einer Störung der Orientierung zur eigenen Person
- Dauer der Symptome: mindestens eine Stunde bis maximal 24 Stunden
- Kein vorangegangener epileptischer Anfall und kein vorangehendes Trauma
Bei typischem klinischen Bild und fehlenden Red-Flags: keine weitere Diagnostik notwendig, prinzipiell ambulante Fallführung möglich. In der Praxis ist die Zuführung von Menschen mit noch laufenden TGAs in eine stationäre Verlaufsbeobachtung aufgrund des beeindruckenden klinischen Bildes für die Angehörigen in aller Regel unumgänglich.
Zusatzdiagnostik
- Atypisches Bild
- Glukosemessung, SpO2, BGA (CO-Hb), Elektrolyte
- Cave: Bei Hypoglykämie erst Verabreichung von Vitamin B1 (z.B. 300 mg Thiamin i.v.) vor Glukose-Substitution bei bestehender Gedächtnisstörung (DD Wernicke Enzephalopathie)
- Fieber (DD entzündlich)
- Transport in Neurologische Fachklinik, Infektionsparameter, bei V.a. Enzephalitis Liquorpunktion, im Zweifel empirische Therapie (Ceftriaxon + Ampicillin + Aciclovir)
- Kurze/Rezidivierende Episoden (DD epileptogen)
- Transport in Neurologische Fachklinik, EEG
- Fokale Defizite (DD fokale Läsion)
- Transport in Neurologische Fachklinik, Stroke Alarm und entsprechende Diagnostik
- Okulomotorikstörung (DD Wernicke Enzephalopathie)
- Abnahme von EDTA-Röhrchen zum Nachweis eines Thiaminmangels und sofortige Substitution von Vitamin B1 (z.B. 300 mg Thiamin i.v.)
- ggf. bei hochgradigem Verdacht angiographischer Ausschluss einer Basilaristhrombose
- Bekannte Lebererkrankung (DD hepatische Enzephalopathie)
- Ammoniak
- Bekannte Nierenerkrankung (DD urämische Enzephalopathie)
- Nierenretentionsparameter
- Drogenanamnese (DD Intoxikation)
- Drogenscreening
- Wann MRT?
- Bei atypischer Präsentation (z. B. Alter <40 Jahre) aber keinen Hinweisen für andere Erkrankungen
- Frühestens 24h, besser 48-72 h nach Beginn der Symptomatik
- In 50% der TGA Fälle Darstellung des typischen Befundes (Diffusionsstörung in der CA1-Region des Hippokampus)
- Praxistipp: Im Zweifelsfall lieber einmal zu viel Vitamin B1 geben, da bei einmaliger Gabe kaum Nebenwirkungen/Risiken bestehen und eine unbehandelte Wernicke-Enzephalopathie zügig in eine irreversible Korsakow-Erkrankung übergehen kann.
Red Flags
– Alter <40 Jahre
– zusätzliche kognitive Defizite
– Vigilanzstörung (quantitative Bewusstseinststörung)
– Verhaltensauffälligkeiten außer Ratlosigkeit oder Beunruhigung
– Wiederholte Rezidive (DD transierte epileptische Amnesie)
– Sehr kurze <1h oder sehr lange >24h Episode
– Fokal-neurologische Ausfälle (vor allem Störungen der Okulomotorik -> Wernicke-Enzephalopathie)
– Fieber
– Nach Abklingen nur partielle Amnesie für die Episode
– Alkoholabhängigkeit oder Malnutrition
– Störung der Orientierung zur eigenen Person
– Drogenabhängigkeit
– Z. n. Katheterintervention (Angiographie, Herzkatheter, usw.)
– Zeitlich zusammenhängendes Kopftrauma
Transport- und Dispositionstrategie
Bei sicher typischer TGA, mit Erfüllung aller diagnostischer Kriterien ohne Red Flags: prinzipiell ambulanter Verbleib möglich, wenn kontinuierliche Beobachtung durch Angehörige gewährleistet ist.
Bei atypischer Symptomatik, unklarer Ursache oder Hinweisen auf sekundäre Ursachen: Zuführung in ein Haus mit Neurologie. Bei fokalen Defiziten in ein Haus mit Stroke-Unit.
V.a. schwere metabolische oder toxische Ursachen: Zuführung in ein Haus mit intensivmedizinischer Überwachungskapazität, auch rein internistische Fachklinik möglich.
Fazit
Akute Gedächtnisstörungen erfordern eine strukturierte Herangehensweise, um die oft zahlreichen Differentialdiagnosen rasch einzugrenzen. Eine sorgfältige Anamnese und Untersuchung (auch im Notfallsetting!) trägt zur Vermeidung unnötiger Diagnostik bei. Klassische TGAs ohne Red Flags, mit typischen Auslösern, im klassischen Alter, können ohne neurologische Konsultation behandelt werden.
Ausgewählte Literatur
- Hufschmidt, Andreas; Rauer, Sebastian; Glocker, Franz Xaver (Hrsg.): Neurologie compact. Für Klinik und Praxis, 9. Auflage, Stuttgart 2022, Georg Thieme Verlag
- Eschle, D. Akuter Gedächtnisverlust: Ist es eine transiente globale Amnesie?. Notfall Rettungsmed 27, 426–432 (2024). https://doi.org/10.1007/s10049-023-01204-2
Haftungsausschluss
Der Artikel erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Richtigkeit und die genannten Empfehlungen sind ohne Gewähr. Die Verantwortung liegt bei den Behandelnden. Der Text stellt die Position der*s Autor*in dar und nicht unbedingt die etablierte Meinung und/oder Meinung von akutneurologie.de.